Interview mit Walter Schilt

 

Mit Freude haben wir vom Vorstand des Ge­werbevereins zur Kenntnis genommen, dass du dich wieder als Kandidat für die Grossrats­wahlen vom 27. März 2022 zur Verfügung stellst. Uns freut dies besonders, weil wir über­zeugt sind, dass du die Interessen des Ge­werbes bestens vertreten wirst.

 

Vor vier Jahren wurdest du mit einem sehr guten Ergebnis in den Grossrat gewählt. Entsprach die Tätigkeit im Grossen Rat deinen Erwartungen?

Die Trägheit des Ratsbetriebes hat mich schon überrascht. Insbesondere die Tatsache, dass die absurdesten Vorstösse bei der Presse die grösste Aufmerksamkeit generieren. Motionen, Postulate usw., welche zum vornherein zum Scheitern verurteilt sind, finden in der Öffentlichkeit sehr grosse Aufmerksamkeit. Aber ich habe gelernt, dass ich nicht alles verstehen und begreifen muss.

Was hat dich dazu bewogen, wieder für den Grossen Rat zu kandidieren?

Weil die Leidenschaft, nicht die Faust im Sack zu machen sondern aktiv mitzugestalten, immer noch gross ist. Und Politik heisst ja Einfluss nehmen, gestalten.

Mit welchen Gefühlen siehst du der Wiederwahl entgegen?

Sicher mit gespannten Gefühlen, jedoch auch mit einer gesunden Portion Zuversicht, Energie und Motivation. Mut zum Aufbruch ist immer noch meine Zielsetzung.

Wie kann das Gewerbe von deinem Engagement im Grossen Rat profitieren?

Weil ich mich konkret für schlankere, bzw. kürzere Abläufe in Bewilligungsverfahren einsetze. Insbesondere bei Wärmeverbünden konnten wir schöne Erfolge erzielen. Meine gute Vernetzung in den Ämtern und Verwaltungsstellen hilft mir für dieses ambitionierte Ziel sehr.

Wo lagen die Schwerpunkte in deiner politischen Arbeit?

Dass das in unserem Kanton sehr grosse Energieholzpotenzial endlich die ihm zustehende Aufmerksamkeit erhält und dementsprechend im Förderprogramm des Kantons prominenteren Niederschlag findet. Energie allgemein nach dem Motto: das Eine tun und das Andere nicht lassen. Zudem die Beschleunigung von Baubewilligungsprozessen im Allgemeinen, insbesondere aber auch für Wärmeverbünde, dass solche zielführender und viel rascher über die Bühne gebracht werden können.

Welche Ziele, die du dir gesteckt hast, konntest du erreichen? Welches Ergebnis hat dich am meisten gefreut?

Dass ich mich, mindestens nach meiner Einschätzung, in den Gremien des Grossen Rates nicht habe «verbiegen» lassen. Zur eigenen Meinung stehen bis zur Entscheidfindung im Parlament.

Dass im Einzelfall mit einem gut begründeten Vorstoss, notabene ohne Diskussion im Parlament, sich der Regierungsrat bereit erklärt hat, den Artikel 69 Absatz 3 in der Bauverordnung des Kantons zu prüfen und allenfalls binnen eines Jahres aufzuheben. Und auch das durch das Parlament überwiesene Postulat zum Erhalt des monumentalen Douglasienbestandes auf dem Ostermundigenberg Früchte trägt.


«Nicht die Faust im Sack machen, sondern aktiv mitgestalten!»


Gab es auch negative Erlebnisse? Was «ärgert» dich in der Ratstätigkeit?

Jedes gesprochene Wort wird in den Kommissionssitzungen zu Protokoll genommen. Dies ergibt einen Papierberg, bzw. eine unglaubliche Datenflut. Für eine Session gibt es gut und gerne 2000 Seiten die durchforstet werden müssen. Ob es eine solche Datenlawine braucht, wage ich mit Fug und Recht zu bezweifeln. Wir müssen lernen, uns wieder kürzer zu fassen und auf das Wesentliche zu konzentrieren.

Wie geht es, aus deiner Sicht, dem Kanton Bern?

Aus meiner Sicht ist der Kanton Bern sicher durchschnittlich bis gut unterwegs. Jedoch müssen, um neue Unternehmen in den Kanton zu locken oder mindestens eine Abwanderung derer zu verhindern, die Rahmenbedingungen im Planungs- und Bauwesen definitiv vereinfacht und verkürzt werden. Einer Abwanderung von Firmen, bzw. von Arbeitsplätzen in andere Kantone, muss verhindert werden.

Welche Erwartungen hast du als Bürger an die

Verwaltungen?

Ob Gemeinde, Kanton oder National, wir brauchen wieder schlankere Prozessabläufe, insbesondere dürfen Verwaltungsstrukturen nicht noch unübersichtlicher werden als sie schon sind. Jedes Gesetz, jedes Reglement und jede Verordnung generiert, durchgedacht von A bis Z, ein gewisses Potenzial an Stellenprozenten. Die Politik, Exekutiven und Legislativen bis hin zu den Verwaltungen müssen wieder lernen, einander mit offenen Ohren zuzuhören und einander zu verstehen. Die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes würden es mit grossem Beifall verdanken.

 

Was würdest du im Kanton Bern sofort ändern, wenn du die Möglichkeit dazu hättest?

Ich würde mit dem für die Vereinfachung von Bewilligungsverfahren und Prozessabläufen eingesparten Verwaltungspersonal ein Amt für «Soziale Kompetenz» schaffen. Weil Toleranz, Eigeninitiative, Teamfähigkeit, Begeisterungsfähigkeit, Kritikfähigkeit, Anpassungsfähigkeit, Empathie, Zufriedenheit, Freundlichkeit und Respekt gegenüber unserer Mitmenschen zur absoluten Mangelware verkommen ist. Sich persönlich weniger wichtig nehmen, das könnte der Schlüssel zum professionelleren Miteinander, bzw. Nebeneinander sein.

Die Einteilung der Gemeinden in die verschiedenen Prämienregionen bei der Krankenversicherung gibt in Vechigen immer wieder zu Kritik Anlass. Was kannst du als Grossrat hier unternehmen?

Danke für diese sehr wichtige Frage. Genau diese Altlast aus der Zeit vor der Bezirksreform ist immer noch nicht behoben. Es kann ja nicht sein, dass beispielsweise in Worb massiv weniger Krankenkassenprämien bezahlt werden müssen als in Vechigen. Dazu habe ich eine Interpellation eingereicht. Falls die Antworten unbefriedigend sein sollten, werde ich mit einer Motion nachhaken. Gerade für kinderreiche Familien ist dies, insbesondere für die Einwohnerinnen und Einwohner von Vechigen, ein gewichtiger Standortnachteil und somit unhaltbar.

Wo siehst du die grössten Herausforderungen für den öffentlichen Sektor in den nächsten fünf Jahren?

In einem respektvollen und lebbaren Nebeneinander. Ein gesunder Mix in den verschiedensten Themen, sei es in der Verkehrsplanung, erneuerbaren Energie, Siedlungsentwicklung, usw., es gibt auch hier nicht schwarz-weiss, richtig oder falsch, mass- und rücksichtsvoll mit möglichst wenig «Kollateralschäden». Beispielsweise bei der Verkehrsplanung sollten nach meiner Auffassung die verschiedenen Verkehrsträger, ÖV, Langsamverkehr wie Fussgänger und Velo, aber insbesondere auch der Individualverkehr, wie das Auto, nebeneinander Platz haben.


«Nicht schwarz-weiss, richtig oder falsch, sondern mass- und rücksichtsvoll mit möglichst wenig 'Kollateralschäden'».


Welche Technologie wird unser Leben in Zukunft grundlegend verändern?

Ob wir wollen oder nicht, die Digitalisierung wird weltweit praktisch in allen Lebensbereichen der Menschheit vermehrt ihren Platz einnehmen. Der doch ab und zu zitierte Spruch «Das Leben ist wie zeichnen ohne Radiergummi» wird mit dieser Tatsache noch viel realer.

Welches Buch empfiehlst du als «Must Read»?

Da ich sehr viel lese, notabene keine Romane oder Krimis, wird es für mich schwierig ein Buch hervorzuheben. Biographien, Lebensbilder von Personen die in ihrem Leben Spuren der Zukunft hinterlassen haben. Die Gotthelfbände habe ich alle gelesen. Wenn es Jeremias Gotthelf noch gäbe, er hätte schon zig Bände drangehängt, weil nämlich die Menschheit heute wie damals, überhaupt nicht anders funktioniert. Um doch noch ein Buch aus vielen zu nennen, das Buch von einer der schillerndsten Figuren in der Korrespondentenwelt, von Ulrich Tilgner mit dem Titel «Die Logik der Waffen».

Grundsätzlich: Was schätzt du an der Schweiz?

Wir sind höchst privilegiert und leben in der Luxussuite der Welt. Nehmen wir diese Tatsache doch immer wieder zur Kenntnis und lassen diesen Umstand auf uns wirken. Aus dieser Perspektive lösen sich plötzlich alltägliche Probleme im Nichts auf.

Welche Erkenntnisse nimmst du aus der COVID-19-

Erfahrung mit?

Unbedingt auf geschäftlicher Ebene wieder regionaler denken, innovativ bleiben und plötzlich aufgetauchte Grenzen oder Hindernisse als Chance zur Veränderung oder gar zum Neubeginn erkennen und nutzen. Im Privaten könnte die für alle Menschen wichtige Freizeit und Erholung vermehrt wieder im eigenen Land oder auch daheim, mit einem Spaziergang rund um seinen Wohnsitz, gesucht und gefunden werden. Ich bin überzeugt, dass es in nächster Nähe noch so viel Schönes zu erforschen und zu entdecken gibt. Insbesondere in unserer wirklich unvergleichlich schönen Gemeinde Vechigen.

Wir wünschen dir, lieber Walter, viel Erfolg bei den Wahlen und hoffen auf möglichst viele Stimmen aus der Vechiger Bevölkerung, insbesondere den Gewerblerinnen und Gewerblern. Besten Dank für das Gespräch.


«Wir sind höchst privilegiert und leben in der Luxussuite der Welt.»